Diese Kategorie zeichnet sich dadurch aus, dass nach dem Propheten Mohammed (saw) keine Gesandten mehr kommen werden und die Offenbarung Allahs (cc) ihr endgültiges Stadium erreicht hat. In dieser Kategorie befinden sich alle religiösen Praktiken, die sich von den Praktiken anderer Religionsgemeinschaften unterschieden, wie z.B. das fünfmalige Gebet am Tag, die Zakat (soziale Pflichtabgabe), das Fasten im Ramadan, die Pilgerfahrt nach Mekka usw., die alle ihre speziellen Bestimmungen und Formen haben.

Wenn Muslime von „dem Islam“ reden, meinen sie meist  diese   Kategorie,   denn   hier  werden   nur   jene Elemente als verbindlich anerkannt, über die es in allen islamischen Gesellschaften einen Konsens gibt. Es sind jene religiösen Elemente, über die es sichere schriftliche Quellen gibt, die dem Koran nicht widersprechen und die in ihrer Mehrheit offenkundig, klar und gut verständlich sind und somit als Grundlage des islamischen Glaubens dienen können.

Als erste und wichtigste Quelle kommt der Koran, dessen Überlieferung und schriftliche Zusammenstellung als unverfälscht gilt, das mit dem arabischen Begriff „mutawatir“ bezeichnet wird. Das bedeutet, dass der Koran seit seiner Offenbarung an den Propheten Mohammed (saw) keine Veränderung durchgemacht hat und dass sein Text von unzähligen Gefährten des Propheten, genauso wie er uns heute vorliegt, auswendig gelernt, niedergeschrieben und auf verschiedenen Wegen überliefert worden ist. Darüber sind sich selbst nicht-muslimische Orientalisten einig, zumal mehrere Funde belegen, dass diese mit unserem heutigen Koran identisch sind. Der einzige Unterschied liegt darin, dass für nicht-muslimische Orientalisten, der Koran keine göttliche Offenbarung ist, sondern die Worte eines Genies namens Mohammed (saw).

Die nächste Quelle wäre die Sunnah des Propheten, die aus den verschiedenen Hadithsammlungen (Überlieferungen) gewonnen wird.

Der Begriff „Sunnah“ wird im Koran ausschließlich für das „Verfahren“', bzw. „Vorgehen Allahs (cc)“ benutzt[1]. Dieser Begriff ist vorkoranischen Ursprungs, so dass schon die heidnischen Araber (arab. muschrikuun) von ihm gebraucht machten, in dem sie den  Gewohnheiten ihrer Vorfahren folgten, ohne diese zu hinterfragen. Der Koran aber lehnt diesen heidnischen Brauch ab: »Und wenn man zu ihnen sagt, sie sollen dem folgen, was Allah (cc) herabgesandt hat, sagen sie: „Nein, wir folgen dem, was wir als Glauben und Brauch unserer Väter überkommen haben“ Wie! wenn selbst ihre Väter keinen Verstand hatten und nicht auf dem rechten Wege wandelten?«[2] Vielmehr verlangt der Koran: »Ihr Gläubigen! Fürchtet Allah (cc) und sagt, was recht ist, dann lasst Er euch eure Werke gedeihen und vergibt euch eure Schuld! Wer Allah (cc) und seinem Gesandten gehorcht, dem ist großes Glück zuteil geworden.«[3]

Allah (cc) ruft die Menschen auf, sowohl seiner Offenbarung zu folgen, als auch seinem Gesandten: »Sprich: „Wenn ihr Allah (cc) liebt, so folgt mir. Lieben wird euch Allah (cc) und euch eure Sünden vergeben; denn Allah (cc) ist vergebend, barmherzig.“ Sprich: „Gehorcht Allah (cc) und dem Gesandten…“«[4]

»Jene, die dem Gesandten folgen, dem des Lesens und Schreibens unkundigen[5] Propheten, dessen Eigenschaften sie bei sich erwähnt finden, in der Thora[6] und im Evangelium[7]. Er gebietet das Rechte und verwehrt ihnen das Unrecht, und er erlaubt ihnen das Gute und verbietet ihnen das Schlechte… Sprich: „Oh ihr Menschen. Ich bin wahrlich der Gesandte Allahs (cc) für euch alle…“«[8]

»Wahrlich, ihr habt an dem Gesandten Allahs (cc) ein schönes Vorbild für jeden, der auf Allah (cc) und den Jüngsten Tag  hofft  und  Allah (cc)  häufig  gedenkt.«[9]

»…Und was euch der Gesandte gibt, das nehmt an; und was er euch untersagt, dessen enthaltet euch…«[10]

Die Sunnah, d.h. die Lebenspraxis des Propheten Mohammed (saw), lässt sich in zwei Kategorien einordnen. Die eine Kategorie lässt sich unterteilen in persönliche, kulturelle und normative Sunnah. Die andere lässt sich unterteilen in das, was der Prophet gesagt, getan und gebilligt hat.

a)    Zur Verdeutlichung der persönlichen Sunnah des Propheten können Beispiele dienen wie, dass der Prophet Datteln mochte oder dass er kein Knoblauch oder keine Zwiebeln aß. Wer der persönlichen Sunnah des Propheten  folgen möchte, darf dies ohne weiteres tun. Nur darf die persönliche Sunnah nicht verallgemeinert und zur Norm erklärt werden.

b)     Zur kulturellen Sunnah gehören alle die Dinge, die für den Lebensraum der damaligen Muslime auf der arabischen Halbinsel typisch waren, wie z.B. mit der Hand zu essen. Auch das Befolgen dieser kulturellen Sunnah ist jedem frei gestellt, darf aber ebenfalls nicht verallgemeinert werden. Auf der anderen Seite  sei darauf hingewiesen, dass bestimmte Kulturelemente durchaus auch ihre Daseinsberechtigung haben, solange ihr Sinn nachvollzogen werden kann. Das Essen mit der rechten Hand macht nämlich nur dann einen Sinn, wenn vor und nach dem Essen die Hände gewaschen werden und die Reinigung nach dem Stuhlgang mit Wasser immer mit der linken Hand vorgenommen wird. Diese Gewohnheit hat also einen bestimmten Grund und Sinn.

c)     Die normative Sunnah dagegen ist eine Ausnahme. Sie sollte von allen Muslimen befolgt werden. Dass der Prophet z.B. arabisch sprach und der Gebetsruf (arab. athan) auf arabisch war, soll die Muslime nicht dazu veranlassen, dies auf den arabischen Kulturraum zu beschränken, sondern ist eine Sunnah, die sich über Raum und Zeit hinwegsetzt und somit überall wo Muslime sind, zur Praxis gehört.

In der Befolgung der Sunnah des Propheten sehen die Muslime besonders den Sinn, dass er als Gesandter Allahs (cc), der den Koran empfangen hat. Allah (cc) am besten gedient und somit eine besondere Vorbildfunktion hat.

Eine weitere Besonderheit der Sunnah ist, dass es viele Situationen gab, wo der Prophet die Offenbarungen erläutern oder ergänzen musste. Z.B. in Bezug auf das Gebet: Der Koran gibt keine direkten Anweisungen wann, wie oft und wie gebetet werden soll. In einer Überlieferung heißt es dagegen: „Betet so,  wie ihr mich beten gesehen habt.“ Hin anderes Beispiel sind die Anweisungen des Propheten zur Zakat (soziale Pflichtabgabe), zu ihrer Höhe und über die Besitztümer, auf die Zakat fällt.

Was nun den Begriff „Hadith“ angeln, was „Erzählung, Bericht“ bedeutet, so wird dieser häufig als Synonym für Sunnah benutzt. Einerseils wird eine bestimmte Überlieferung als Hadith bezeichnet, andererseits die Gesamtheit der Traditionen, die auf den Propheten zurückgeführt werden.

Wo anfangs die Traditionen noch mündlich überliefert wurden, hat es ab dem 8. Jh. umfangreiche Niederschriften des gesammelten Materials gegeben: Die Muwatta des Malik ihn Anas (gest. 795) ist das älteste Rechtskompendium, das uns erhallen ist, was gesammelte Hadithe enthält. Das Werk ist in musannaf Form aufgebaut (d.h. geordnet nach Themen). Dann folgt das Werk von Ahmad ihn Hanhal (gest. 857), welches das älteste und berühmteste musnad Werk ist (geordnet nach Überlieferern).

Die berühmtesten sunnitischen Werke sind die Sahihan, von al-Buhari (gest. 870) und Muslim (gest. 874), dann folgen die Sunan Werke von Ibn Magah (gest. 866), Abu Dawud (gest. 888), at-Tirmidi (gest. 892). an-Nasai (gest. 915), ad-Darimi (gest. 868) und ad-Daraqutni (gest. 997).

Die berühmtesten schiitischen Hadith-Sammlungen sind von al-Kulaini (gest. 941), as-Sudduq (gest. 991) und at-Tusi (gest. 1067).

Im Hadith gibt es verschiedene Kategorien, nach der die Richtigkeit einer Überlieferung eingeschätzt wird, wobei eine Überlieferung zwei Teile hat:

1) Inhalt (arab. matri)

2) Überliefererkette (arab. isnad)

a) Eine Überlieferung gilt als „echt“ bzw. „gesund“' (arab. sahih), wenn man gegen die Überliefererkette keine Bedenken hat und der Inhalt folgende Kriterien der Textkritik erfüllt:

1.  Es darf nicht dem Koran widersprechen;

2.  Es darf nicht der Vernunft widersprechen;

3.  Es darf nicht den Erfahrungen widersprechen;

4.  Es darf nicht den Tatsachen widersprechen;

5.  Es   darf keine   unsinnigen   Aussagen   einhalten, welche man vom Propheten nicht annimmt;

6.  Es darf keiner anderen gut belegten Überlieferung widersprechen;

7.  Es darf keine unanständigen Reden enthalten.

Eine Kategorie darunter befindet sich eine Überlieferung, die als „gut“ oder „schön“ (arab. hasan) bezeichnet wird, in deren Überlieferungskette und/oder Inhalt man aber geringfügige Schwächen vermutet.

Als „schwache“ Überlieferungen (arab. daif) werden jene bezeichnet, wo man an der Überlieferungskette und/oder Inhalt starke Bedenken hat.

Außerdem gibt es noch eine Menge von Überlieferungen, die man ablehnt, weil sie als „Fälschung“ (arab. mauduu) entlarvt wurden.

b) Was die Überlieferungskette anbetrifft, sind folgende Kriterien zu befolgen:

  • Sicher ist eine Überlieferung, wenn sie von mehreren Seiten her überliefert wurde (arab. mutawatir) und die letzte Person in der Überlieferung (der Informant) Kontakt zum Propheten hatte. Nur diese Texte dürfen als Grundlage für die islamische Glaubenslehre (arab. aqida) verwendet werden.
  • Sicher ist eine Überlieferung, wenn sie auf mindestens drei verschiedenen Wegen überliefert wurde (arab. maschhur).
  • In die nächste Kategorie gehört eine Überlieferung,   die   von   mindestens   zwei   verschiedenen Überlieferungswegen    vermittelt    wurde    (arab. adziz).
  • In die unterste Kategorie gehört eine Überlieferung,  die  von   nur einer Quelle  stammt  (arab. ahad).
  • Eine weitere Kategorie ist eine Überlieferung, die nicht bei einem Prophetengefährten endet, sondern in einer der Nachfolgegenerationen und/oder deren Inhalt Zweifelhaftes enthält (arab. garib).

Es geht in dieser Bedeutungsebene von „Islam“ -auch wenn hier nur einige Merkmale der islamischen Lehre genannt wurden - nicht um äußere Erscheinungen (Muslime beten zwar auch, aber doch anders als Christen), mit denen sich „der Islam“ definiert. Viel wichtiger ist es den Dingen auf den Grund zu gehen und über ihren Sinn nachzudenken. Deswegen sind in dieser Bedeutungsebene von Islam besonders die Primärquellen Koran und Sunnah näher erläutert worden. Wir können nämlich erst dann sagen, dass wir dieses oder jenes verstanden haben, wenn wir den Sinn dessen nachvollziehen können. Es genügt nicht zu sagen: „Ich weiß, dass Muslime fünfmal täglich beten.“ Viel wichtiger ist es zu wissen, warum und um Muslime beten.


[1] Siehe dazu im Koran: Sure (3) Aal-Imraan, Verse: 137; Sure (4) An-Nisa, Verse: 26);  Sure (8) Al-Anfaal, Verse: 37; Sure (17) Al-Israa, Verse: 77; Sure (33) Al-Ahzaab, Verse: 38; Sure (40) Al-Mumin, Verse: 85; Sure (48) Al-Fath, Verse: 23

[2] Koran: Sure (2) Al-Baqarah, Verse: 170

[3] Koran: Sure (33) Al-Ahzaab, Verse: 70-71

[4] Koran: Sure (30) Ar-Rum, Verse: 31-32 (vgl. dazu : Koran: Sure (4) An-Nisaa, Verse: 59, 69, 80

[5] Dieser Vers mit dem Begriff „ummi“ (für Analphabet), trügt die Bedeutung, dass der Prophet Mohammed (saw) der Ursprünglichkeit und Archetypik der Offenbarung mit reinem, ursprünglichem  Hingegebensein  begegnete und für sie offen war, praktisch wie ein unbeschriebenes Blatt. Er hat dem, was er empfing, im Akt des Empfanges durch Bildung oder theologische Reflexion nichts hinzugesetzt. Vgl.: Paul Schwarzenau „Korankunde für Christen“, S. 28.

[6] Vgl. 5. Mose (Deuteronomium), 18:15, 33:2

[7] Vgl. Genesis 17:20, 49:10; Johannes 1:19-25, 7:40-41, 14:16, 15:26, 16:8-13; Matthäus 21:42-44; Lukas 24:49; Psalm 45:17

[8] Koran: Sure (7) Al-A’raaf, Verse: 157-158

[9] Koran: Sure (33) Al-Ahzaab, Verse: 21

[10] Koran: Sure (59) Al-Haschr, Verse: 7

 

 

 
 
 

 

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SEIT 15.12.2003